Sonntag, 24. Mai 2015

Die Sache mit den Vorurteilen

Mein alter Chef hat immer gesagt, er kenne keinen Menschen, der mehr Vorurteile hätte als ich. Dies sagte er zwar mit einem kleinen Augenzwinkern, aber ganz Unrecht hatte er nicht. 

Ich war großartig darin. Nicht zuletzt, da ich eine unfassbar ausgeprägte Fantasie habe und mir Dinge in den schönsten Formen und Farben ausmalen kann. Und das eben auch für oder besser über andere. 

Ein paar Beispiele beschreibt diese (fragwürdige) "Fähigkeit" ziemlich genau:

Auf dem Nachhauseweg von meiner Familie (gute 50 km) über die Bundesstraße mit wenigen Stellen an denen man überholen kann, fuhr vor uns ein Auto mit ca. 60 kmh. Wir regten uns furchtbar auf, schaukelten uns hoch, schimpften und tobten. War doch schließlich meistens 100 kmh erlaubt und nur 60 zu fahren eine absolute Frechheit. Wahrscheinlich zeigte ich dem Fahrer beim überholen (was endlich irgendwann ging) noch ein freches Handzeichen... wundern würde es mich nicht 

Ein weiteres Beispiel trug sich bei meiner alten Arbeit zu. Mein Chef, meine Vorgesetzte und ich saßen vor einem Stapel Bewerbungen. Ich weiß gerade nicht mehr genau wofür, Reinigungskraft wäre denkbar. Ich hielt also die Bewerbung dieser einen Dame in der Hand, die ich - natürlich - gar nicht kannte. In ihrem Lebenslauf viel mir eine (für mich) seltsame Lücke auf. Dazu noch ein paar (für mich) merkwürdige Angaben und schon war ich mir sicher: die Dame saß mal im Knast.
Da die Lücke ziemlich groß war, war mir gleich klar, sie hatte ihren Mann ermordet oder es zumindest versucht. Die Geschichte konnte noch mit allen Absurditäten ausgeschmückt werden und wurde sie. Ok, eigentlich war es ein Spaß. Aber was glaubt ihr, wo ist die Bewerbung wohl gelandet....

Neulich bei meiner neuen Arbeit bei einer Fortbildung. Ich war erst eine Woche dort im Betrieb. Wir saßen in einer Runde mit 17 Frauen. Keine kannte ich oder hatte ich vorher je gesehen. Mir gegenüber saß Conny. Ca. 1,50 m groß und ungefähr genauso breit. Kurzes schlecht blondiertes Haar, trug Karohemden, Stil eher männlich gekleidet. Nach ihren ersten zwei Worten war mein Bild zu Conny perfekt. Das dies nicht positiv war, muss ich wohl nicht erklären.

Und zu guter Letzt ein besonders "schönes" Beispiel. 

Seit einiger Zeit haben wir neue Nachbarn im Haus. Ein junges (vielleicht albanisches - wobei das nichts zur Sache tut) Paar. Sie zogen in die Wohnung, die bisher von einer alten Dame bewohnt wurde. Die alte Dame passte immer auf alles im Hause auf. Alles hatte seine Ordnung. Sie wusste über alles Bescheid. Eines Tages hatte der Paketbote ein Päckchen (Schmuck) bei den neuen Nachbarn für mich abgegeben. Mein Liebster ging also zu den Nachbarn und die junge Frau teilte ihm mit, dass sie kein Paket für mich angenommen hätte. Als ich nach Hause kam, berichtete er mir davon und schon ging es los. Ich regte mich furchtbar über meine neue Nachbarin auf. Dann über den Paketdienst. Die Nachbarin. Den Paketboten usw. Um meiner Nachbarin noch eine Chance zu geben (und dabei fühlte ich mich unglaublich gütig) rief ich dann aber erstmal beim Paketdienst an, um nachzuforschen. Ich wusste, dass weitere Pakete dort für andere Nachbarn abgegeben wurden, vielleicht hat sich der Paketbote mit den Zetteln vertan. Beim Paketdienst wurde mir aber bestätigt, dass die neuen Nachbarn das Paket mit ihrer Unterschrift in Empfang genommen hatten. Jetzt war für mich alles klar, die neue Nachbarin wollte meinen Schmuck klauen. Was war nur aus unserem Haus geworden, wenn jetzt sogar Diebe hier wohnen. Mein Freund hielt mich aber noch etwas zurück und schlug vor, die andere Nachbarin zu fragen, die auch ein Paket erhalten hatte bzw. deren Paket auch bei den Nachbarn abgegeben wurde. Als sie die Tür öffnete und wir ihr unser Anliegen vortrugen, fing sie sofort an zu flüstern und zeigte mit dem Finger auf die Tür dieser Nachbarn.Sie war sich sicher, dass dort mehrere Pakete lagen, auch meins und jetzt wolle man es mir wohl einfach nicht geben. Ihr könnt euch vorstellen, was danach los war....

Nun zu meinen Erkenntnissen:

Der Autofahrer. 
Vor einiger Zeit waren meine Bremsen defekt. Ich war aber gut 50 km (wieder bei meiner Familie) entfernt von zu Hause. Ich musste aber noch zurück, über diese Bundesstraße, auf der man doch 100 kmh fahren kann. Konnte ich aber nicht. Kaputte Bremsen. Ich fuhr 50 kmh, höchstens 60, die ganze Strecke. 

Conny. 
Beim Mittagessen saßen wir uns gegenüber und kamen ins Gespräch. Weil das Gespräch so nett war, kamen wir 10 Minuten zu spät zur Fortbildung. Conny kam aus der Schweiz, hatte ein großes Herz, einen tollen Dialekt und ein großartiges Lachen. 

Die neuen Nachbarn.
Nach dem letzten sachdienlichen Hinweis der anderen Nachbarin war mir klar, ich werde bei den Nachbarn klingeln, sie des Diebstahls beschuldigen müssen und meinen Schmuck herausfordern. Mein inneres Gesetz schrie "Finger abhacken", falls die Frau meinen Ring tragen würde. Wir klingelten also (mein Freund war zur Sicherheit mitgekommen....nicht meiner Sicherheit) und der Mann öffnete die Tür. Ich fing also an "Ihr habt ein Paket für mich angenommen..." und bevor ich weiter sprechen konnte, nickte der junge Mann, drehte sich um und griff nach meinem Paket. "Sorry" sagte er, "meine Frau wusste nicht, dass ich das Paket angenommen hatte". 

Selten habe ich mich so geschämt, wie an diesem Tage. Und deshalb habe ich auch beschlossen, ein Leben ohne Vorurteile zu führen, es zumindest zu versuchen. Jeden Tag begegnen einem Menschen und Situationen, in denen man viel zu schnell urteilt. Und ich behaupte, in den meisten aller Fälle läge man total falsch. 

Es ist nicht richtig Menschen nach wer-weiß-was zu beurteilen und verurteilen. Wir kennen den Menschen nicht und vor allem auch nicht seine Geschichte dahinter. 

Neulich sagte jemand zu mir: Jeder benimmt sich so gut, wie er kann.

Ich denke, da ist etwas wahres dran. Unser Denken und Handeln ist ja nicht die perfekte Lösung für alles. Was für uns richtig erscheint, muss für andere noch lange nicht der richtige weg sein. Zudem tut es einem selbst nicht gut, sich ständig mit schlechten Gedanken über die Menschen zu beschäftigen. 

Und deshalb:

Es ist nie zu spät, Vorurteile abzulegen
Henry David Thoureau 

Mache dich von deinen Vorurteilen los und du bist gerettet 
Marc Aurel 

P.s. 
Die Bewerberin
Die saß doch aber sich wirklich im Knast, oder?! ;-)

Mittwoch, 13. Mai 2015

La Dolce Vita

Gerade mal 1 1/2 Wochen komme ich jetzt in den Genuss wieder einem "normalem" Leben nachzugehen.

Ich stehe um 7.30 Uhr auf, wo ich sonst die letzten 2 1/2 Jahre schon bei der Arbeit angekommen war. Und ich bin um 17 Uhr wieder zu Hause, wo ich sonst gerade erst die Arbeit wieder verlassen habe, um mich auf den langen Heimweg zu machen.

Die Arbeitszeiten haben sich zwar noch nicht richtig eingespielt und so kommt es, dass ich mal auch erst um 17.30 Uhr raus komme, aber ebenso bin ich auch schon in den Genuss gekommen um 15.00 Uhr Feierabend zu machen.

Ich saß also an einem Dienstag Nachmittag in einem Eiscafe in meiner Stadt in der Sonne und habe den restlichen Tag genossen. Sowas kannte ich in der vergangenen Zeit nur von den viel zu kurzen Wochenenden oder dem immer zu kurzen Urlaub.

Ich habe in den letzten Tagen Dinge in der Stadt erledigen können nach oder sogar vor der Arbeit, ich konnte mir sogar den ersten Fachartztermin machen lassen, ohne mir dafür einen ganzen Tag frei nehmen zu müssen.

Ich weiß, das alles klingt banal, aber für mich ist es die Zurückgewinnung meines Alltags.

...und das fühlt sich fast ein bisschen wie das süße Leben an!